8.1.1 Schein-, Wirk- und Blindleistung

Motoren, Drosselspulen usw. benötigen Drahtwicklungen. Wird eine solche Spule von Wechselstrom durchflossen, so stellt sich infolge der Selbstinduktion («elektromagnetische Trägheit») eine gewisse Verspätung des Stroms gegenüber der Spannung, die Phasenverschiebung, ein (Bild 8.1). Bei einem solchen Gerät wird der fliessende Strom nicht vollständig zur Umwandlung in Arbeit genutzt. Der Wirkfaktor cos φ ist bei sinusförmigen Strömen und Spannungen das Verhältnis zwischen dem Arbeit leistenden Wirkstrom und dem in den Leitern fliessenden Gesamtstrom.

Bild 8.1 Spannung und Strom als Funktion der Zeit

Die Scheinleistung S ist:

  • beim Einphasenwechselstrom

S Scheinleistung in VA
U Spannung zwischen Phase und Neutralleiter, ca. 230 V
I Stromstärke in A

  • beim Drehstrom (Dreiphasenwechselstrom)

U Spannung zwischen zwei Phasen, ca. 400 V

Die Spannung U und die Stromstärke I sind Effektivwerte (quadratische Mittelwerte), wie sie von guten Mess­geräten abgelesen werden (Bild 8.2). Die Einheit für die Scheinleistung wird als Volt·Ampère geschrieben.

Bild 8.2 Messung des Stroms

Die Wirkleistung P ist in jedem Fall:

P Wirkleistung in W

Die Einheit für die Wirkleistung ist Watt. Die üblichen Zähler messen die Wirkenergie in der Einheit kWh. Die Wirkenergie ist raumklimatisch eine interne Last. Der Wirkfaktor cos φ beträgt im Mittel etwa:

  • bei Widerständen, Glühlampen 1;
  • bei Asynchron-Motoren 0,85 bis 0,90;
  • bei Fluoreszenzlampen mit konventionellen
    Vorschaltgeräten 0,5, mit elektronischen Vorschaltgeräten 1,0:
  • bei den meisten elektronischen Geräten ungefähr 1,0.

Die Blindleistung ist:

Q Blindleistung in VAr

Die Blindleistung bringt den kWh-Zähler nicht zum Drehen, sie erzeugt aber das magnetische Feld in den Spulen. Auch der Blindstrom fliesst durch das Netz und muss bei dessen Bemessung berücksichtigt werden. Er verursacht dort ohmsche Verluste. Blindenergiezähler messen in der Einheit kVArh (kilo · Volt · Ampère reaktiv · Stunde). Die beschriebene Phasenverschiebung kann durch eine Phasenverschiebung mit umgekehrtem Vorzeichen kompensiert werden. Dies erfolgt mittels entsprechend bemessener Kondensatoren. Die Blindenergie wird bei Grossbezügern gemessen und verrechnet. Da sie beachtliche Kosten verursachen kann, wird oft eine Blindstromkompensation eingebaut.

8.1.2 Leistungs- und Crest-Faktor

Viele elektronische Geräte, wie beispielsweise PCs oder LED-Lampen, benötigen Gleichstrom mit einer anderen Spannung als das Elektrizitätsnetz. Ein sogenanntes Schaltnetzteil wandelt nun die Eingangsspannung in eine Gleichspannung des neuen Niveaus um. Dabei wird die Netzspannung zuerst gleichgerichtet, dann in eine Wechselspannung hoher Frequenz gewandelt, transformiert und zuletzt wieder gleichgerichtet. Das umständlich scheinende Verfahren hat Vorteile hinsichtlich Effizienz und Gewicht gegenüber konventionellen Netzteilen mit 50 Hertz-Transformator.

Beim Bezug von nicht sinusförmigem Strom, insbesondere bei elektronischen Geräten mit Schaltnetzteil, wird das Verhältnis zwischen Wirkleistung und Scheinleistung als Leistungsfaktor λ bezeichnet. Er erfasst, zusätzlich zur Phasenverschiebung, auch die – die Sinusform verzerrenden – Oberwellen des Stroms. Für Messungen und für die Belastung der Stromversorgung ist aber vor allem der Scheitelfaktor wichtig (englisch crest factor, auch deutsch Crest-Faktor). Er ist das Verhältnis von Scheitelwert zu Effektivwert einer Wechselgrösse, hier also des fliessenden Stroms. Der stossartige Strombezug durch Gleichrichter und Glättungskondensatoren kann zu Crest-Faktoren von 5 und mehr führen (sinusförmiger Strom: 1,41). Bei hohem Crest-Faktor ist der Maximalwert des Stroms wesentlich höher, als die Wirkleistung erwarten lässt (Bild 8.3). Leitungen, Netztransformatoren, unterbrechungsfreie Stromversorgungen (USV) und Messgeräte müssen die Spitzenströme aushalten. Bei hohen Leistungen (z.B. Frequenzumrichter für Motoren) können Geräte mit Leistungsfaktorkorrektur (englisch power factor correction, PFC) den Crest-Faktor vermindern.

Bild 8.3 Spannung (sinus-ähnliche Kurve) und Strom (Zackenkurve) mit hohem Crest-Faktor im 230 V-Netzanschluss einer LED-Lampe (Oszilloskop-Bild Nipkow)

8.1.3 Leistung von Apparaten

Die Leistung wird auf dem Typenschild angegeben. Dieses ist oft hinten, unten oder gar innen zu finden. Bei Motoren ist die Bedeutung dieser Nennleistung verschieden:

  • Bei kleinen Geräten, deren Motor und Arbeitsorgan eine Einheit bilden (Umwälzpumpen, Kühlschränke), ist die Nennleistung die maximale aufgenommene elektrische Leistung wie bei vielen anderen Geräten.
  • Bei Antriebsmotoren von Ventilatoren, Aufzügen usw. (Norm-Motoren) bedeutet die Nennleistung die an der Welle abgegebene mechanische Leistung.

Die im normalen Betrieb auftretende Leistung ist oft wesentlich kleiner als die Nennleistung. Zur groben Leistungsermittlung genügen manchmal Schät­­zungen anhand des Typenschilds. Bei Ventilatoren und grösseren Umwälzpumpen liegt die tatsächlich aufgenommene elektrische Leistung meist zwischen 50 und 100 % der angegebenen Wellenleistung. Alle aktuellen Nassläufer-Umwälzpumpen (Motor und Pumpe fest zusammengebaut) und viele kleinere Ventilatoren sind mit elektronischen Leistungs- bzw. Drehzahlregelungen ausgestattet. Die effektive Leistungsaufnahme liegt deshalb oft weit unter dem Maximalwert gemäss Typenschild. Das Merkblatt [SIA 2056] liefert detaillierte Informationen zur Leistungsaufnahme von Geräten und Apparaten.