Sonnenenergie ernten

Mittags das hohe Flirren der Sonne, abends bereits der erste Hauch des nahenden Herbstes – die enorme Kraft der Sonne fühlen wir alle. Die Beschreibung des Megaron-Hauses, vor gut 2500 Jahren vom griechischen Philosophen Sokrates formu-liert, liest sich wie ein erstes simples Konzept für die passive solare Nutzung: «Der Baukörper öffnet sich nach Süden und stellt im Innern die nötige Speichermasse zur Verfügung. Der Dachüberstand verschattet das Gebäude bei hochstehendem Sonnenstand, während die Wintersonne tief in das Haus eindringen kann.»

Kluge Planung wirkt Wunder

Auch heute integriert solare Architektur nach wie vor die passive Nutzung von Sonnenenergie. Dazu gehören Aspekte wie die Ausrichtung und Orientierung, die Öffnung des Gebäudes zur Sonne hin, die Schaffung von genügend Masse im Innern, um die solare Energie zu speichern, sowie eine gut gedämmte Gebäudehülle, welche die Energieverluste minimiert.

Seit rund 100 Jahren kommt nebst den passiven Prinzipien des Erntens von Sonnenenergie auch die aktive Nutzung mittels Sonnenkollektoren und Photovoltaik-Modulen hinzu. Diese Elemente werden immer effizienter und Fenster und Fassaden immer dichter. Dies ermöglicht den Bau von Gebäuden, die – über das Jahr betrachtet – mehr Energie aus erneuerbaren Quellen bereitstellen, als sie verbrauchen. Ein solares Gebäude verlangt nicht zwingend Hightech-Installationen. Ganz im Gegenteil; an erster Stelle steht eine umsichtige Planung, die dem Direktgewinn von Sonnenenergie entgegenkommt.

Das Wissen und die Technologien sind heute durchaus vorhanden, damit die Energiewende in Europa umgesetzt werden kann. Was es braucht, ist die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema sowie das Aneignen des nötigen Wissens. Energieeffiziente Architektur ist eine Triade aus qualitätsvoller, gesamtheitlicher Architektur, aus optimalem Raumklima und aus minimiertem Energieverbrauch. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht der Mensch.

Solararchitektur für die Städte

Gerade in Städten ist solares Bauen ein Gebot der Stunde. Weltweit lebt jeder zweite Mensch in einer Stadt. Die Städte weisen ein enormes Potenzial an Innovation, an Bausubstanz und an öffentlicher Mobilität auf. Sie sind kulturelle Hotspots, Zentren der Information und des Energieverbrauchs. Gesellschaftliche Trends wie «urban farming» und «urban gardening» zeigen, dass immer mehr Menschen  einen bewusst naturverbundenen Lebensstil pfle­gen. In diesem Kontext ist es nicht verwunderlich, dass auch eine Entwicklung hin zu ökologischem Bauen feststellbar ist. In einer Zeit, in der es möglich ist, den Globus mit einem solarangetriebenen Flugzeug zu umrunden, sollte es selbstverständlich sein, Sonnenenergie klug und innovativ für Bauwerke, fürs Heizen und Kühlen zu nutzen. Dass die Energiewende eine Notwendigkeit ist, bestreiten heute nur einige wenige Kritiker. Im Kontext einer dichten Bauweise findet sich bereits heute eine Vielfalt an Lösungsstrategien und sehr wirtschaftlichen Konzepten, die architektonisch und gestalterisch überzeugen. Was es darüber hinaus jedoch braucht, ist die Notwendigkeit des Umdenkens, ist die Veränderung unserer Gesellschaft und Wirtschaft hin zu einem bewussten Handeln nach den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung und der Biodiversität.

Es sollte uns heute gelingen, die Chancen, die jede Veränderung mit sich bringt, wahrzunehmen und als Gesellschaft rasch zu reagieren. Es gilt unsere Energiesysteme tiefgreifend umzubauen und Sonnenenergie gezielt zu nutzen, bevor uns die nächste Krise dazu zwingt.

Wir bauen unsere Energie­systeme um: auf CO2-neutral

Solararchitektur verlangt eine umfassende Planung und eine integrale Bauweise. Das heisst, die architektonischen, konstruktiven Voraussetzungen und technischen Installationen für das Management des solaren Energiegewinns sind unabdingbarer Teil des Hauses. Diese von Beginn weg einzuplanen und mit dem Projekt zu verknüpfen, so dass sich ein schlüssiges Energiekonzept und ein sinnvolles und zuverlässig funktionierendes Ganzes ergeben, kann man lernen. Bei Neubauten lässt sich dies über klare Vorgaben planen, berechnen und lösen.
Wir bieten Strategien, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, und skizzieren Denkweisen, die aufzeigen, mit welcher Breite heute das Thema angegangen und bearbeitet werden soll. Dabei dient den Autoren die Erfahrung in der praxisgerechten Wissensvermittlung im Rahmen von Weiterbildungsmodulen. Wir zeigen Regeln auf, die es allerdings immer wieder projektspezifisch zu hinterfragen und zu optimieren gilt. Mit dieser Publikation soll das grosse Potenzial des solaren Bauens aufgezeigt werden. Anhand der Beispiele sollen Planende, Unternehmer und Auftraggeber motiviert werden, dieses Wissen für sich zu erschliessen und anzuwenden.

Neben qualitätsvollen Architekturkonzepten in Verbindung mit hoher Energieeffizienz sind auch die Aspekte des nachhaltigen Bauens berücksichtigt. Das ist eine Herausforderung, sowohl für Planende und Unternehmer als auch für Auftraggeber, Investoren und Nutzende. Die wesentliche Diskussion und vor allem die Kritik setzen bei den Kosten oder dem zukünftigen Potenzial von Energieträgern an. Die Kosten von Plusenergiebauten sind jedoch stark gesunken. Ein zielgerichteter Umbau unserer Energiesysteme bringt uns vielfältige, nicht zuletzt wirtschaftliche Vorteile. Dass sich diese vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema lohnt, beweisen auch die zahlreichen Projekte, die mit dem Schweizer Solarpreis ausgezeichnet wurden. Setzen wir uns mutigere Ziele, schaffen wir uns innovative Arbeitsplätze und sichern wir den künftigen Generationen saubere Luft zum Atmen.

Abbildung 6: Mehrzweck­gebäude «Kohlesilo» in Basel ist einer der Preisträger des Schweizer Solarpreises 2015 (Quelle: Solvatec).