Schon seit den Anfängen der Menschheit ist das solare Bauen ein zentrales Thema. Das Wissen um den Lauf der Sonne und die klimatischen Verhältnisse hat jede Kultur auf ihre ganz eigene Weise geprägt. Geht es in den südlich gelegenen Ländern vor allem um den Schutz vor der Sonne, steht bei uns die Nutzung von Sonnen­energie in drei Bereichen im Vordergrund:

  1. Direkte Nutzung der Sonneneinstrahlung im Winter zum Heizen der Wohn- und Arbeitsräume
  2. Wassererwärmung über Sonnenkollektoren
  3. Stromproduktion mittels Photovoltaikmodulen

Im Idealfall integriert ein Gebäude alle drei Arten der solaren Energiegewinnung. Dies nicht allein, um die Ressourcen zu schonen, sondern auch, um den Bewohnern Behaglichkeit und einen hohen Wohnkomfort zu ermöglichen.

Für den Menschen

Wohlbefinden entspricht einem ganz normalen Bedürfnis von uns Menschen und steht nicht nur bei Baubiologen im Zentrum der Betrachtung. Wir wollen uns schützen vor Kälte, Hitze und Witterung. Im Sommer haben wir es gerne angenehm kühl, im Winter behaglich warm.

Durchdachte Solararchitektur zielt auf menschliches Wohlbefinden ab. Gleichzeitig schafft sie aber auch einen direkten Bezug zur Natur und macht ihre Wirkungsweise erfahrbar. So ist eine ausreichende Menge an Tageslicht, wie sie die Solar­architektur erfordert, essenziell für unser Wohlbefinden. Sonnige Wintertage lassen die Bewohner im Wärmeüberfluss leben. Eine intelligente Beschattung hält die Räume im Sommer kühl und lässt uns trotzdem die Sicht auf die Umgebung geniessen. Dem bewussten Mitmenschen bietet sich somit die Möglichkeit, an sonnigen Tagen etwas länger zu duschen, ein Bad zu nehmen und mit dem vollgetankten Solarmobil einen grösseren Ausflug zu planen. In Schlechtwetterphasen arbeitet er eher zu Hause und zieht gerne mal einen etwas dickeren Pullover an, damit er nicht extra die Heizung starten muss, weil für den nächsten Tag die Wettervoraussagen wieder gut sind.

Für das Klima

Wird sich das Klima weiter so erwärmen wie von den Wissenschaftlern prognosti-ziert, so werden wir in Europa künftig deutlich weniger Heiztage haben. Macht mit diesen Aussichten eine umfassende Heizanlage, mit der sämtliche Räume beheizt werden, überhaupt noch Sinn? Oder genügt es, wenn wir lediglich die zentral genutzten Räume beheizbar machen? Welchen technischen Aufwand sollen wir betreiben, damit wir uns in einem gut gedämmten Gebäude während den verbleibenden 20 bis 30 Heiztagen mit Energie versorgen können? Können wir dazu die gespeicherte Sommersonnenenergie oder den selbst erzeugten Strom vom Dach verwenden?

Abbildung 1: Genügend Tageslicht als wichtige Basis für ein gesundes Leben.

 

Sicher gibt es dank dem solaren Gebäudekonzept in Zukunft keinen Grund mehr, dass die Schweiz täglich über 35 Mio. Franken aufwendet, um Erdölprodukte aus dem Ausland zu importieren. Nutzen wir dieses Geld doch, um Arbeitsplätze zu sichern, die Qualität der Baustoffe zu steigern und die lokale Wirtschaft zu fördern.

Für die Umwelt

Der schonende Umgang mit unseren Ressourcen wird künftig eines der zentralen Themen sein beim Bauen. Der Begriff der Kreislaufwirtschaft steht für eine Grundhaltung, die es in Zukunft ermöglichen soll, dass Baustoffe nicht mehr rezykliert (wobei in den meisten Fällen ein Down­cycling stattfindet), sondern weiterverwendbar eingebaut werden, worauf bereits bei der Planung geachtet werden sollte. Bestehende Bauten werden so zum Rohstofflager für zukünftige Bauvorhaben (urban mining). Das Potenzial ist riesig: Nach Schätzungen des BAFU umfassen die Schweizer Strassen, Gebäude und Infrastrukturanlagen über 2,1 Mrd. Tonnen verarbeitete Baustoffe. Davon werden derzeit rund 80 % verwertet.

Abbildung 2: Qualitative und genügend dicke Dämmung für einen tiefen, kostengünstigen Energiebedarf im Winter und Sommer: Gut fürs Klima, fürs Portemonnaie und fürs Gewissen!

 

Auf diese Weise können wertvolle Ressourcen geschont und kreislauffähig bewirtschaftet werden. Eine äusserst spannende Aufgabenstellung, die nicht nur die Planer fordert, sondern ganze Wirtschaftszweige dazu bringen respektive zwingen wird, ihre Produktepalette vollständig zu überdenken.

Gerade hier wird sich der Marktvorteil von ökologischen Bauprodukten zeigen. Denn viele erfüllen die zukünftigen Anforderungen bereits heute: So beispielsweise nachwachsende sortenreine Rohstoffe, die lokal produziert sind, problemlos in den technischen oder biologischen Kreislauf überführbar sind, einen geringen Anteil an grauer Energie aufweisen, karbonfrei produziert wurden und darüber hinaus das ideale Raumklima unterstützen.

Warum solar bauen?

Viele neu erstellte Bauten lassen den Eindruck entstehen, dass sich weder Bauherrschaft noch Architekt dafür interessiert haben, wann und aus welcher Richtung die Sonne das Haus mit Solarenergie versorgt. Berechnungen für eine mögliche Nutzung von Sonnenenergie werden in den wenigsten Fällen präzis durchgeführt und solare Konzepte werden von Planern oft gar nicht vorgeschlagen. Was sind die Gründe dafür und wie könnte das geändert werden? Warum haben die Menschen keinen Zugang mehr zum Wissen, das über tausende von Jahren eine Notwendigkeit für das Überleben darstellte?

Abbildung 3: Geschlossener biologischer und technischer Kreislauf nach C2C (Cradle to Cradle). Quelle: Drees & Sommer

 

Das günstige Erdöl hat uns eine rasante technische Entwicklung beschert. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass das Profit- und Wachstumsdenken oftmals Treiber ist bei Entscheidungen – in vielen Fällen ohne Beachtung der weitreichenden Folgen dieses Handelns. Das Prinzip der Nachhaltigkeit basiert darauf, dass wir nur so viel verbrauchen, wie wieder nachwachsen respektive sich regenerieren kann.

Abbildung 4: Mehrfamilienhaus in Thalwil (Architektur Oikos & Partner, Energiekonzept Andrea Rüedi). Solarer Direktgewinn im Winter über grosse Südverglasung mit Verschattung im Sommer; kontrollierte Lüftung mit Abluft-Wärmepumpe zur Produktion von Warmwasser, Kleinöfen pro Wohnung für die Übergangsphase zum selber Heizen und zentrale Pelletheizung als ergänzende Wärmequelle bei Unterversorgung von Heizung oder Warmwasser.

 

Hans Carl von Carlowitz gilt als Begründer des Begriffs Nachhaltigkeit. In seinem 1713 erschienenen Buch «Sylvicultura Oeconomica oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht» verwendet er den Begriff in Zusammenhang mit der Forstwirtschaft. So müsse man bei der Rodung der Wälder bedenken, wo die Nachkommen Holz hernehmen sollen. Von Carlowitz verlangt, «pfleglich» mit der Natur und ihren Rohstoffen umzugehen, statt einen auf kurzfristigen Profit ausgelegten Raubbau an den Wäldern zu betreiben.

Abbildung 5: Solares Energiekonzept für das Mehrfamilienhaus Kirchbodenstrasse in Thalwil, siehe auch Seite 90.
Nutzen Sie die Sonnenenergie!

• Verlangen Sie explizit, bei Gebäuden Sonnenenergie aktiv und passiv zu nutzen.
• Es gibt bereits heute genügend karbonfreie Baustoffe, die den Anspruch der Kreislauffähigkeit erfüllen. An den Fachplanern liegt es, diese so anzuwenden, dass erfolgreiche solare Direktgewinnbauten entstehen, die Wohlbefinden für den Nutzer schaffen.