6.2 Heizleistungs- und Energiebedarfsrechnungen

6.2.2 Klimakorrektur mit akkumulierten Temperaturdifferenzen (ATD)

Heizenergieverbräuche können mithilfe von akkumulierten Temperaturdifferenzen näherungsweise auf andere Zeitperioden oder Klimata umgerechnet werden. Akkumulierte Temperaturdifferenzen (ATD) sind, wie Heizgradtage, ein Mass für die Härte eines Klimas. In SIA 380 [6.1] werden akkumulierte Temperaturdifferenzen θΣ,per als Summe der positiven Differenzen zwischen einer Basistemperatur θb und dem Tagesmittel der Aussenlufttemperatur θe,m während der Tage der Berechnungsperiode gemäss Formel A6.1 definiert.

(A6.1)

Die Basistemperatur kann dabei grundsätzlich als diejenige Aussenlufttemperatur verstanden werden, bei welcher die Heizleistung null ist. Gemäss [6.1] soll für die Basistemperatur generell 12 °C verwendet werden, wobei bei Gebäuden mit tiefem Heizwärmebedarf die Basistemperatur auch gebäudeabhängig gemäss einer Formel in Tabelle A6.1 bestimmt werden kann.

Die Basistemperatur kann auch angenähert aufgrund der Gebäudehüllzahl Ath/AE, des Wärmedämmniveaus und des Sollwertes der Raumtemperatur θi bestimmt werden:

θb = Ath/Ae . 2,5 °C + θb,0 + 0,8 . (θi – 20 °C)

Standardwerte zur akkumulierten Temperaturdifferenz, basierend auf einer 20-jährigen Beobachtungsperiode, sind im SIA-Merkblatt 2028-C1:2015 [6.2] für die Basistemperaturen 8 °C, 10 °C und 12 °C für 40 Stationen der Schweiz aufgeführt. In Tabelle A6.2 sind die Werte für die Basistemperatur 12 °C enthalten.

Anwendungen

Mithilfe von akkumulierten Temperaturdifferenzen kann nun der Heizenergiebedarf, z.B. bei Umzügen, von einer Zeitperiode auf ein ganzes Jahr umgerechnet werden.

(A6.2)

 

 

 

Analog kann auch der Heizenergiebedarf von einem Klima auf ein anderes Klima umgerechnet werden.

(A6.3)

 

6.4 Speicherverhalten

6.4.1 Speicherverhalten des Gebäudes

Die Wärmespeicherfähigkeit eines Raumes spielt eine wichtige Rolle bei verschiedenen normierten Rechenverfahren, sie wird jedoch je nach Problemstellung auf unterschiedliche Weise definiert. Es werden im Wesentlichen drei verschiedene Situationen betrachtet:

Bei einer einmaligen Anregung (Temperatursprung) findet ein Laden oder Entladen des ganzen Wärmespeichers statt, alle Bauteilschichten sind mit ihrer Wärmespeicherfähigkeit beteiligt, die Wärmekapazität des Raumes wird nach der Formel 6.4 berechnet.

In der vereinfachten Monatsbilanzmethode SIA 380/1 [6.2] (Basisnorm EN ISO 13790 [6.6]) zur Ermittlung des Heizwärmebedarfs wird angenommen, dass eine periodische Anregung (T = 24h) vorliegt, die solaren Strahlungsgewinne durch Fenster und die radiativen internen Wärmeeinträge dominieren und direkt an den Bauteilinnenoberflächen einwirken. Die flächenbezogene Wärmespeicherfähigkeit des Bauteils wird deshalb ohne Abminderung durch einen Wärmeübergangskoeffizienten bestimmt, die Berechnung der Wärmespeicherkapazität des Raumes C in kJ . K-1 bzw. MJ . K-1 erfolgt mit der Formel A6.5. Als Speicher-Kenn-
grösse des Raumes für Energieberechnungen wird die Wärmespeicherkapazität C auf die Energie-
bezugsfläche AE bezogen: C/AE in MJ/(m2 . K).

Beim sommerlichem Wärmeschutz nach SIA 180 [6.4] steht die periodische Wärmeaufnahme und die Wärmeabgabe der Bauteiloberflächen an die Raumluft im Vordergrund, um das Risiko einer Überwärmung beurteilen zu können. Die Wärmespeicherfähigkeit des Raumes CR in kJ . K-1 wird in der Norm mit der Einheit Wh/K angegeben und unter Berücksichtigung der Wärmeübergangswiderstände mit der Formel A6.6 bestimmt. Als Speicher-Kenngrösse des Raumes wird die Wärmespeicherkapazität CR auf die Nettogeschossfläche ANGF des Raumes bezogen: CR/ANGF in Wh/(m2 . K).

Bei der dynamischen Simulation wird das Wärmespeichervermögen der einzelnen Bauteile im verwendeten Rechengang explizit stundenweise berücksichtigt, was eine genaue Bestimmung der operativen Temperaturen und der Heiz- oder Kühllasten erlaubt. Die dynamische Simulation kann deshalb sowohl für Energie- als auch für Komfortberechnungen bei beliebigen Klimarandbedingungen eingesetzt werden.

  • Statische Wärmekapazität Cstat bei einer einmaligen Anregung (Temperatursprung, z.B. Kälteeinbruch), anzuwenden bei Auskühlungs- oder Aufheizungsvorgängen unter Verwendung der Zeitkonstante τ.
(A6.4)

  • Dynamische Wärmekapazität C bei einer periodischen Anregung (Periode T = 24h), anzuwenden beim Energienachweis nach SIA 380/1 ohne Berücksichtigung der Wärmeübergangswiderstände Rsi und Rse.

(A6.5)
  • Dynamische Wärmekapazität CR bei einer periodischen Anregung (Periode T = 24h), anzuwenden beim Nachweis zum sommerlichen Wärmeschutz (thermische Behaglichkeit) nach SIA 180 mit Berücksichtigung der Wärmeübergangswiderstände Rsi und Rse.

6.5 Kühlungsbedarf

(A6.6)

In Tabelle A6.3 ist eine grobe Klassierung der Grössenordnung der drei Wärmespeicherkenngrössen eines Raumes zu verschiedenen Bauweisen und Anwendungen (SIA 380/1 und SIA180) aufgeführt.

6.5.1 Bedarfsnachweis Kühlung nach SIA 382/1

Der Bedarf für eine mechanische Kühlung wird in der Norm SIA 382/1:2014 [6.5] behandelt. Als Grundvoraussetzung für eine Kühlung sind die Anforderungen der SIA 180:2014 [6.4] (thermische Behaglichkeit, Raumluftqualität, Luftdichtheit, Wärmeschutz im Winter und im Sommer sowie Feuchteschutz) und die akustischen Anforderungen von SIA 181:2006 [6.8] einzuhalten. Eine erste Beurteilung der Notwendigkeit einer Kühlung kann anhand der internen Wärmeeinträge pro Nettogeschossfläche und Tag und den zusätzlich zur mechanischen Lüftung vorhandenen Möglichkeiten der Fensterlüftung mit Tabelle A6.4 erfolgen.

Bei der Bestimmung der internen Wärmeeinträge sind die tatsächlichen Wärmeabgaben der Personen, Geräte und Beleuchtung zu verwenden. Elektrische Anschlussleistungen der Geräte (Typenschilderangaben) sind für diese Beurteilung nicht relevant. Angaben für typische Werte verschiedener Nutzungen finden sich im Merkblatt SIA 2024 [6.9]; höhere Werte sind nur zulässig, wenn deren Notwendigkeit nachgewiesen wird.

Eine vertiefte Abklärung der Notwendigkeit einer Kühlung kann mit einer fachgerechten dynamischen Simulation oder in bestehenden Bauten mit einer Messung der Raumtemperatur erfolgen. Das Beurteilungskriterium ist die empfundene Temperatur im Vergleich zur oberen Grenzkurve für beheizte, gekühlte und mechanisch belüftete Räume (Kurve 2 in Abbildung A6.1). Die anzuwendenden Randbedingungen der dynamischen Simulation sind in Anhang E der Norm SIA 382/1:2014 festgelegt.

Die Notwendigkeit einer Kühlung ist bei diesem vertieften Verfahren gegeben, wenn die berechneten Stundenwerte der empfundenen Temperaturen im Raum während der Nutzungszeit die Grenzkurve 2 in Abbildung A6.1 während mehr als 100 h pro Jahr überschreiten. Bei einer Überschreitung bis zu 100 h pro Jahr ist eine Kühlung erwünscht, ohne Überschreitung ist eine Kühlung nicht notwendig. Die Stundenwerte der empfundenen Temperaturen sind dem gleitenden Mittelwert der Aussentemperatur über 48 Stunden zuzuordnen.

Bei bestehenden Bauten und bei Wohnbauten mit mechanischer Lüftung kann von einer erhöhten Toleranz infolge Anpassung der Nutzer ausgegangen werden. In diesen Fällen darf die Überschreitung bei 400 h statt bei 100 h pro Jahr liegen.

Abbildung A6.1: Obere Grenzkurven für die empfundene Temperatur als Beurteilungskriterium im Vergleich
– Kurve 1: Nachweise nach SIA 180:2014, Anhang C.1 und C.2 (natürliche Lüftung)
– Kurve 2: Nachweis Kühlung nach SIA 382/1:2014, Anhang E (mechanische Lüftung)

6.5.2 Grundsätze für die Planung

Eine mechanische Kühlung kann verhindert werden, wenn es gelingt, die vorhandenen Wärmeeinträge (Solargewinne und interne Lasten) zu minimieren, in der Gebäudemasse zu speichern und mit effizienten Lüftungsmassnahmen das Abführen der Wärme zu ermöglichen. Abbildung A6.2 zeigt die wesentlichen Einflussgrössen, welche in der Planung berücksichtigt werden müssen.

Abbildung A6.2: Massnahmen zur Vermeidung einer mechanischen Kühlung

6.7 Literatur: Energie/Leistung

[6.1] SIA Norm 380, Grundlagen für energetische Berechnungen von Gebäuden, Schweizerischer Ingenieur- und Architekten-Verein, Zürich, 2015
[6.2] SIA Norm 380/1, Thermische Energie im Hochbau, Schweizerischer Ingenieur- und Architekten-Verein, Zürich, 2009
[6.3] Korrigenda Merkblatt SIA 2028-C1:2015, Klimadaten für Bauphysik, Energie- und Gebäudetechnik, Schweizerischer Ingenieur- und Architekten-Verein, Zürich, 2015
[6.4] SIA Norm 180, Wärmeschutz, Feuchteschutz und Raumklima in Gebäuden, Schweizerischer Ingenieur- und Architekten-Verein, Zürich, 2014
[6.5] SIA Norm 382/1, Lüftungs- und Klimaanlagen – Allgemeine Grundlagen und Anforderungen, Schweizerischer Ingenieur- und Architekten-Verein, Zürich, 2014
[6.6] EN ISO 13790, Energieeffizienz von Gebäuden – Berechnung des Energiebedarfs für Heizung und Kühlung, CEN Brüssel 2008
[6.7] EN ISO 13786:2015, Wärmetechnisches Verhalten von Bauteilen – Dynamisch-thermische Kenngrössen – Berechnungsverfahren, CEN 2015
[6.8] SIA 181, Schallschutz im Hochbau, Schweizerischer Ingenieur- und Architekten-
Verein, Zürich, 2006
[6.9] Merkblatt SIA 2024, Standard-Nutzungsbedingungen für die Energie- und Gebäudetechnik, Schweizerischer Ingenieur- und
Architekten-Verein, Zürich (in Revision)