4.1.1 Konstruktive Auseinandersetzung mit der Gebäudehülle

Die konstruktive Durchbildung der Gebäudehülle (Sockel, Aussenwand, Fenster, Dach usw.), muss vielfältigen Anforderungen gerecht werden, z.B. betreffend den Wärme-, Feuchte- und Schallschutz.

Das heute übliche Verhalten der Architekten beim Planen von konstruktiven Dispositionen ist grundsätzlich geprägt durch die Verwendung von Lösungstypen. Diese baukonstruktiven Lösungstypen sind natürliche Resultate von jahrzehntelangem Umgang mit mehr oder weniger denselben Baustoffen, Komponenten und Subsystemen, im Rahmen eines bestimmten Standes der Technik, unter etwa gleichbleibenden Produktionsbedingungen (Land, Arbeitskraft, Kapital) und für mehr oder weniger gleichbleibende Bauaufgaben. Sie unterliegen zwar einer stetigen Modifikation. Die scheinbar geringfügigen Veränderungen und Anpassungen der einzelnen «Kataloglösungen», im Zeitraum der letzten Jahrzehnte beobachtet, zeigen bei näherer Betrachtung, wie eng und kurzfristig der Gültigkeitsbereich von solchen Lösungsangeboten letztlich ist. Allgemein gesteigerte Anforderungen an die Gebäudehülle, aus Gründen erhöhter Komfort- und Umweltansprüche, erforderten ein stetiges Nachführen und Optimieren.

Präparierte Details aus Produktekatalogen und «Konstruktionslehrbüchern» erhalten dadurch eine nur sehr beschränkte Anwendbarkeit und vermögen insbesondere weitergehenden Forderungen und Weiterentwicklungen nur selten standzuhalten. Es ist das Ziel, eine Methodik des konstruktiven Entwerfens für die Entwurfsarbeit aktueller Bauaufgaben zu entwickeln.

4.1.2 Konstruieren von Bauteil, Übergang und Ganzem

Das Zusammenwirken der an der Problemlösung von Konstruktionen beteiligten Faktoren muss an den einzelnen Knotenpunkten untersucht und im Zusammenhang über den ganzen Fassadenschnitt betrachtet werden. Ein systematisches, stufenweises Vorgehen und Überprüfen beim Entwickeln und Konstruieren von Bauteil, Übergang und Ganzem ist unerlässlich.

Daneben entwickelte die Bauindustrie die einzelnen Bauteile, weitgehend unabhängig voneinander, zu hochwertigen Subsystemen. Die Detailausbildungen in den Bauteilübergängen sind weitgehend in der Kompetenz der Planer geblieben und nicht immer auf dem entsprechenden Stand der Bautechnik, was zu Mängeln und Bauschäden führt.

Neben den rein konstruktiven sind natürlich auch gestalterische Kriterien zu berücksichtigen.

4.1.3 Anforderungen an Bauteilübergänge

Die einzelnen Schichten der Bauteile müssen bei den Übergängen bzw. den Details so zusammengeführt werden, dass die jeweiligen Bauteilanforderungen auch beim Übergang nicht infrage gestellt sind, und sich so eine kontinuierliche Gesamtleistung der Baukonstruktion ergibt (z.B. Wärmeschutz, Luftdichtigkeit, Schall- und Feuchtigkeitsschutz …).

Wärmeschutz

Bereits aus der Geometrie des Bauteilüberganges (Ecken) entsteht meist ein unvermeidbarer, erhöhter Wärmestrom, der als Zuschlag zu den U-Werten der Einzelbauteile zu berücksichtigen ist. Durch lückenloses Verlegen der Wärmedämmschichten und das Vermeiden von Durchdringungen mit besser wärmeleitenden Materialien sind weitere, konstruktions- und materialtechnisch bedingte Wärmebrücken zu vermeiden. Im Idealfall kann durch eine Zusatzdämmung die geometrisch bedingte Wärmebrücke reduziert werden.

Luftdichheit

Die beim Bauteilübergang zusammentreffenden Einzelbauteile sind entweder in ihrer Art luftdicht (Massivbau) oder ihre Luftdichtheit wird mit dem Einbau von Dampfbremsen/Luftdichtheitsschichten (Leichtbaukonstruktionen) erreicht. Luftdichtheitsschichten sind beim Bauteilübergang warmseitig luftdicht miteinander zu verbinden (zwei Leichtbaukonstruktionen) oder warmseitig luftdicht an das luftdichte Massivbauteil anzuschliessen. Durchdringungen der Luftdichtheitsschicht sind auf ein Minimum zu begrenzen und luftdicht auszubilden.

Feuchtigkeitsschutz und Wasserdichtigkeit

Einzelbauteile werden ihrer Beanspruchung entsprechend konstruiert und ausgeführt. Die Anforderungen gehen z.B. aus verschiedenen Bauteilnormen hervor. Ein «Sicherheitsvakuum» entsteht oft im Übergangsbereich von unterschiedlich beanspruchten Bauteilen (z.B. Dach, Wand). Auch Arbeits- und Bewegungsfugen können mitunter Undichtigkeitsfaktoren sein. Durch entsprechendes Übergreifen der bezüglich Feuchtigkeitsschutz und Wasserdichtigkeit relevanten Schichten (Dichtungsbahnen, Sperrschichten, Abdeckungen) ist sicherzustellen, dass auch beim Bauteilübergang kein erhöhtes Sicherheitsrisiko besteht.

Schallschutz

Viele Bauteile erreichen ihr Schalldämmvermögen dank dem Masse-Feder-Masse-Prinzip ihres mehrschaligen Konstruktionsaufbaus. Durch geeignete Detailausbildung gilt es, die beiden Massen nicht «schallhart» miteinander zu verbinden und auch im Übergangsbereich durch entsprechende Masse und Luft- bzw. Schalldichtigkeit (z.B. Anschluss Fenster an die Aussenwand) ein den Bauteilen adäquates Schalldämmvermögen sicherzustellen.

Brandschutz

Die Schutzziele sind durch bauliche Brandschutzmassnahmen zu gewährleisten (vgl. Kapitel 2.7 «Brandschutz»).

4.1.4 Konstruktionsdetail: Folge von Problemtyp und Bauteilvariante

Das zu bewältigende Konstruktionsdetail resultiert im Wesentlichen aus dem Problemtyp, der als geometrische Aufgabenstellung aus dem Entwurf bzw. dem Projekt hervorgeht (vgl. Bild 4.1.1), und aus den materialisierten Einzelbauteilen, die den jeweiligen Bauteilanforderungen Rechnung zu tragen haben.

Unter Berücksichtigung der unter 4.1.3 «Anforderungen an Bauteilübergänge» erwähnten Gesichtspunkte gilt es nun, den Bauteilübergang so zu lösen, dass er nicht nur anforderungs-, sondern auch ausführungstechnisch einwandfrei funktioniert. Je nach Wahl der Einzelbauteile ist das Konstruktionsdetail einfacher oder schwieriger zu lösen oder es resultiert allenfalls ein mangelhafter Bauteilübergang. In letzterem Fall müssten Bauteile gewählt werden, die ein funktionstüchtiges Zusammenschliessen gewährleisten (z.B. andere Materialisierung, angepasster Schichtaufbau).

Aus dem Entwurf resultieren die zu bewältigenden Bauteilübergänge.
Bild 4.1.1: Aus dem Entwurf resultieren die zu bewältigenden Bauteilübergänge.

Das Beispiel in Bild 4.1.2 vermittelt eine Idee des Konstruierens von Bauteilübergängen, wobei die einzelnen Schichten nach statischen, baukonstruktiven und bauphysikalischen Prinzipien zusammenzufügen sind. Es werden folgende Bauteile miteinbezogen:

Aussenwand über Terrain

A1 Einsteinmauerwerk, das «alle» Funktionen übernimmt
A2 Aussenwärmedämmung verputzt
(Wärmedämmverbundsystem)
A3 Zweischalenmauerwerk verputzt
A4 Zweischalen-Sichtmauerwerk
A5 Aussenwärmedämmung mit hinterlüfteter
Bekleidung
A6 Sichtbeton mit Innenwärmedämmung
A7 Holzrahmenbau mit hinterlüfteter Bekleidung
A8 Holzrahmenbau mit verputzter Aussenwärmedämmung (Wärmedämmverbundsystem)
A9 Massivholzwand mit Aussenwärmedämmung und hinterlüfteter Bekleidung
A10 Leichtbaukonstruktion in Stahlbauweise

Aussenwand im Erdreich

E1 Aussen- bzw. Perimeterdämmung
E2 Zweischalenmauerwerk
E3 Innenwärmedämmung mit Vormauerung, verputzt oder mit Bekleidung
E4 Stahlbetonwand ohne Wärmedämmschicht

Decken bzw. Bodenkonstruktion

B1 Stahlbetondecke mit oben, in der Bodenüberkonstruktion aufgebrachter Wärmedämmschicht
B2 Stahlbetondecke mit oben (Bodenüberkonstruktion) und unten (Deckenuntersicht) aufgebrachter Wärmedämmschicht
B3 Stahlbetondecke mit trittschallgedämmter Bodenüberkonstruktion und unten (Deckenuntersicht) aufgebrachter Wärmedämmschicht
B4 Massivholzdecke (z.B. Brettstapeldecke o.Ä.) mit oben, in der Bodenüberkonstruktion aufgebrachter Wärmedämmschicht
B5 Massivholzdecke mit oben (Bodenüberkonstruktion) und unten (Deckenuntersicht) aufgebrachter Wärmedämmschicht
B6 Holzbalkendecke mit Wärmedämmschicht zwischen der Balkenlage und in der Bodenüberkonstruktion

Kriterien für die Detailausbildung

Primär sind folgende Kriterien bei der Konstruktion des Bauteilübergangs beim Sockel (vgl. Bild 4.1.2) zu berücksichtigen.

Entwässerung/Feuchteschutz

  • Spritzwasser, Wasserableitung
  • Sockelausbildung (Materialien)
  • Feuchtigkeitsschutz bzw. Wasserdichtigkeit (nicht drückendes/drückendes Wasser)

Wärmeschutz

  • Wärmedämmkonzept Aussenwände/Decke (Wechsel der Wärmedämmebene)
  • Durchdringung der Wärmedämmschicht mit besser wärmeleitenden Bauteilschichten

Schallschutz

  • Schalllängsleitung (dünne Vormauerungen)
  • Körperschallübertragung (Randanschlussfuge)

Statik

  • Übertragung der Lasten auf die Aussenwand im Erdreich

Mit der Darstellung des Bauteilübergangs beim Sockel (vgl. Bild 4.1.2) wird der Iterationsprozess des Konstruierens der Gebäudehülle ersichtlich. Letztlich stellt die Wahl von Bauteilen und Bauteilübergängen eine Kompromisslösung dar, welche den verschiedenen Abhängigkeiten wie Architektur, Materialisierung, bautechnische/bauphysikalische Anforderungen an Einzelbauteile und Übergang, Möglichkeiten der Detaillösung, Dauerhaftigkeit und nicht zuletzt auch den Baukosten möglichst optimal Rechnung trägt.

Neben dem dargestellten Übergang beim Sockel lassen sich ähnliche Überlegungen auch auf weitere Konstruktions-Zusammenschlüsse übertragen wie:

  • Geneigtes Dach/Aussenwand
  • Geneigtes Dach/Dachflächenfenster und andere Durchdringungen
  • Flachdach/Aussenwand
  • Flachdach/Oberlichter und andere Durchdringungen
  • Aussenwand/Geschossdecke (Deckenauflager)
  • Aussenwand/Fenster (seitlicher (Leibung), oberer (Sturz, Sonnen- und Wetterschutzsysteme) und unterer Anschlag (Brüstung)
  • Aussenwand/auskragende Bauteile (Balkone, Vordächer bzw. Blendschutzvorrichtungen)
  • Aussenwand im Erdreich/Bodenplatte bzw. Fundation
  • Aussenwand/Boden im Grundwasser (Wannenkonstruktion)
  • usw.
Sockelausbildung.
Bild 4.1.2: Sockelausbildung.