Ausgangslage

Auf dem Areal der alten Kunsteisbahn (KEB) an der Calandastrasse in Chur sollte eine neue Überbauung mit mehreren Wohnblöcken entstehen. Für die Kindergärten auf dem Areal musste bis Herbst 2015 ein geeigneter Ersatz geschaffen werden. Die benachbarte Liegenschaft an der Calandastrasse 48/50, die im Besitz der Stadt Chur ist, erfüllte die Vorgaben des Raumprogrammes und eignete sich bezüglich Standort und räumlichen Qualitäten. Die Stadt Chur ist seit 2011 Energiestadt und hat sich im Rahmen des Energiekonzepts 2020 verschiedene Schwer-punkte gesetzt. Aus einem Bericht (Stand November 2010) ging hervor, dass vor allem bei den Kindergärten grosser Handlungsbedarf bezüglich Energieeffizienz besteht.

Objektdaten Umbau Kindergarten und Wohnungen
Baujahr 1914/2015
Standort Chur
Anzahl Wohnungen 2
Grundstücksfläche 1198 m2
Gebäudevolumen SIA 416 3739,5 m3
Nettogeschossfläche 703,3 m2
Energiebezugsfläche EBF 735,4 m2
Gebäudehüllziffer 2,0
Gebäudehüllfläche (unkorrigiert) 2181 m2
Anteil Fenster und Türen an der Gebäudehüllfläche 5,8 %
Absorptionsleistung 37,5 kWh
Gespeicherte Wärme 240 kWh
Heizwärmebedarf SIA 380/1 14,6 kWh/(m2a)
Projektverfasser Pfleger + Stoeckli Architektur, Chur

Architektur

Das Gebäude wurde 1914 nach den Plänen der Architekten Schäfer & Risch als Wohn- und Geschäftshaus gebaut. Das Wohnhaus zeichnet sich durch die Gebäudehöhe und die Fassadengestaltung klar als Hauptvolumen des Ensembles aus. Der Nebenbau ist tiefer und bildet durch die L-förmige Geometrie einen Innenhof, der mit den Rundbögen und dem weit vorragenden Dach eine hohe räumliche Qualität aufweist. Im Laufe der Jahre sind beide Gebäude mehrmals umgebaut und umgenutzt worden. Diese Eingriffe haben zu einer «Verunklärung» des architektonischen Ausdrucks geführt.

Der Kindergarten und die beiden neuen Wohnungen haben einen vom Gebäude auf zwei Seiten gefassten Freiraum, der für den Kindergarten als Spielplatz ausgestaltet wurde. Der Bau profitiert von seiner Lage direkt an der öffentlichen Freifläche des Quartierplanes «Alte Kunsteisbahn». Dieser kann sowohl vom Kindergarten wie auch von den Mietern der Wohnungen als Aussenraum mitgenutzt werden.

Das ursprüngliche Gebäudevolumen wurde wieder hervorgehoben, in dem die Anlieferungsrampe auf der Nordseite rückgebaut und die alte Dachform im Osttrakt wiederhergestellt wurde. Die zwei Kindergärten sind auf den Innenhof ausgerichtet und nutzen diesen als gemeinsamen Aussenraum.

Um die Wohnräume im Dachgeschoss grosszügig zu belichten, wurden übergrosse Lukarnen erstellt. Diese neuen Gebäudeteile beziehen sich auf die Achsen der Bögen des Innenhofes sowie der bestehenden Dachkonstruktion. Auf der Süd- und Westseite ermöglichen sie grosse solare Direktgewinne und dienen gleichzeitig als Aussenräume der Wohnungen. Durch ihre Dimension haben sie die Grosszügigkeit eines modernen Elementes und sind klar als neuer Eingriff erkennbar.

Die ursprünglich zurückhaltende Nordfassade ist durch die neuen Fenster und den hinteren Eingang neugestaltet und aufgewertet worden. Im bestehenden Untergeschoss sind Lager-, Kellerräume und die Haustechnik untergebracht.

Grundsätzlich präsentierte sich das Tragwerk in gutem Zustand, erfüllte allerdings die derzeit gültigen Tragwerksnormen nicht mehr vollumfänglich. Durch verschiedene Massnahmen wurde die Statik ertüchtigt.

 

Abbildung 150: Neue, grosse Lukarnen bringen Licht und Wärme in die Wohnräume im Dachgeschoss.

 

Abbildung 151: Südfassade Bestand.

 

Abbildung 152: Südfassade nach dem Umbau.

 

Abbildung 153: Nordfassade Bestand.

 

Abbildung 154: Nordfassade nach dem Umbau.

 

Materialisierung

Schulbauten sind bezüglich Innenraumklima besonders heikel. Daher wurden ökologische und toxikologisch unbedenkliche Baumaterialien und -konstruktionen verwendet. Die sorptionsfähige Materialisierung des Innenraums mit naturbelassenen Holzbalken, Kalksandsteinen und geölten Parkettböden reguliert die Feuchtigkeit im Raum.

Sämtliche Decken über dem Erdgeschoss wurden durch Holzbalkendecken mit darüberliegenden Kalksandsteinen (Holz-Beton-Verbunddecken) ersetzt. Dadurch wird eine hohe Wärmeabsorption erreicht und die Raumakustik verbessert. Das Treppenhaus wurde in Sichtbeton ausgeführt. Die Innenwände sind mit einem mineralischen Verputz versehen. Auf die Böden wurde sowohl in den Kindergärten wie auch in den Wohnungen Parkett verlegt. Die Aussenflächen der Fassade sind neu verputzt. Sämtliche Blechabschlüsse sind in Kupfer ausgeführt. Die bestehenden Biberschwanzziegel der Dacheindeckung wurden wiederverwendet.

Volumen

Im Dachgeschoss sind zwei 4-½-Zimmer-Wohnungen untergebracht. Die Wohnung im Osttrakt ist über das neue Treppenhaus erschlossen, während die zweite Wohnung über das Treppenhaus des angrenzenden 3-Familien-Hauses erreicht wird. Im Südtrakt wurde die bestehende Dachstuhlkonstruktion sichtbar gelassen. Im Osttrakt wurde das Dach angepasst und mit einer neuen Dachkonstruktion analog derjenigen im Südtrakt versehen. Um genügend Tageslicht und damit solare Gewinne in den Wohnungen zu ermöglichen, wurden grosszügige Lukarnen in jeder zweiten Schotte erstellt. Durch das Versetzen auf der gegenüberliegenden Seite wird der Dachraum optimal mit Tageslicht geflutet. Pro Wohnung kann zudem eine Lukarne als Balkon genutzt werden.

Das Gebäude wird neu über den Eingang auf der Nordseite und den Innenhof erschlossen. Das neue Treppenhaus befindet sich an zentraler Lage zwischen Süd- und Osttrakt. Die 2 Kindergärten sind im Erdgeschoss untergebracht. Die neue Raumeinteilung nimmt auf die bestehenden Achsen der Rundbögen Bezug. Die bestehende Stützenstruktur wird dadurch hervorgehoben und der Bezug zum Innenhof verstärkt. Jeder Kindergarten umfasst Garderobe, Nasszellen und Hauptraum. Im Kreuzungspunkt der beiden Trakte befindet sich der Gruppenraum, der auch für die Logopädie genutzt werden kann. Dank der offenen Struktur und der Anordnung der Eingänge und Nasszellen können die Räume zu einem späteren Zeitpunkt beispielsweise als Büro oder Atelier umgenutzt werden.

Über eine einläufige Treppe gelangt man in das Untergeschoss mit Haustechnik, Keller- und Lagerräumen. Der bestehende Kellerraum und die Erschliessungstreppe im Osttrakt wurden aufgehoben.

Solare Direktgewinne

Der Umbau basiert auf dem Prinzip des solaren Direktgewinnhauses. Für die Umsetzung dieses Konzepts wurden in der Projektierungsphase umfangreiche Berechnungen erstellt (Masterarbeit von Patrick Pfleger). Dazu war eine vielfältige Grundlagenbeschaffung notwendig. Zu beachten waren neben der Ausrichtung der Parzelle auch die Lage der Nachbargebäude, der Terrainverlauf und die nähere Umgebung (Nahhorizont). Weitere Kriterien waren Klimadaten, Sonnenstandmessungen, Eigenverschattung, Kennwerte zur Gebäudehülle wie U-Wert der Bauteile und ihre Speichereigenschaften.

Bei jedem Gebäude und speziell auf der Südfassade steuert die Sonneneinstrahlung einen wesentlichen Energieinput bei. Durch entsprechende Orientierung und Wahl der geeigneten Gläser mit hohem Energiedurchlassgrad (g-Wert) kann der Energiegewinn beeinflusst werden. Rund 24 m2 Solarglas sorgen hier für die solaren Gewinne.

 

Abbildung 155: Dachgeschoss.

 

Abbildung 156: Erdgeschoss.

 

Abbildung 157: Untergeschoss.

 

Sonnenstandmessung – Aufnahme Nah- und Fernhorizont

Da der Nahhorizont je nach Standort sehr stark variiert und einen grossen Einfluss auf die Beschattung und somit auf die Ertragsberechnung hat, wurde beim vorliegenden Projekt an insgesamt 10 Messpunkten mit Hilfe des Mützenbergzylinders (Heliochron) die Besonnung aufgenommen und nach der Messmethode der SIA-Dokumentation D 010 ausgewertet.

Absorptionsleistung

Bei der Auswahl der Baumaterialen und der Wahl der Konstruktion wurde als wichtiges Kriterium die Absorptionsleistung und die Speicherfähigkeit beachtet. Die Speicherung erfolgt primär in den direkt beschienenen Bauteilen hinter der Verglasung. Die restlichen solaren Gewinne erhöhen die Raumlufttemperatur, die durch Konvektion die Wärmeenergie an den Sekundärspeicher, respektive die nicht direkt beschienenen Bauteile wie Wände und Decken abgibt. Als Speicherelemente wurden speziell konstruierte Decken aus Holz eingesetzt. Die eng angeordneten Balken sind auf das Mass der daraufgelegten Kalksandsteine ausgerichtet und erhöhen die Speicherfähigkeit gegenüber einer glatten Holzdecke um das Vierfache. Diese Konstruktion hat viele weitere Vorteile:

  • Im Vegleich zu einer konventionellen Betondecke ist die graue Energie gering.
  • Die grosse Oberfläche verbessert den Schallschutz und die Raumakustik.
  • Die hohe Absorptionsleistung verringert Temperaturschwankungen, was sich positiv auf das Raumklima und die Behaglichkeit auswirkt.
  • Die Beleuchtung lässt sich ebenfalls sehr einfach in die Decke integrieren.

 

Abbildung 158: Absorptions­eindringtiefen der Speicherdecke.

 

Gebäudehülle

Bei einem Umbau ist die Festlegung der Dämmebene in der Konstruktion die grösste Schwierigkeit. Bei einigen Konstruktionsübergängen ist mit Wärmebrücken zu rechnen. Beim Umbau wurde an der Nord-, Ost- und teilweise der Südfassade eine Aussenwärmedämmung angebracht. An der Süd- und Westfassade blieben die Rundbögen erhalten. In diesem Bereich wurde innen gedämmt. Das Dach wurde auf der bestehenden Tragkonstruktion neu erstellt und optimal gedämmt. Die Fenstergläser an der Nord- und Ostfassade weisen mit einem U-Wert von 0,41 W/(m2 K) einen sehr guten Dämmwert auf. Auf der Süd- und Westfassade kam ein spezielles Solarglas mit hohem Energiedurchlassgrad (g-Wert) zum Einsatz. Daher haben die Gläser hier einen U-Wert von 0,71 W/(m2 K).

 

Abbildung 159: Lückenlose Wärmedämmung.

 

Abbildung 160: Energiekonzept.

 

Abbildung 161: Solarkonzept.

 

Konzept Wärmeverbund

Auf dem Dach der Calandastrasse 50 wurden 35 m2 thermische Kollektoren zur Wassererwärmung und zur Heizungsunterstützung angebracht. Es wurde ein nutzbarer Ertrag von rund 21 000 kWh pro Jahr berechnet. Der Ertrag deckt den Wärmebedarf von rund 19 000 kWh des Gebäudes bei Weitem, es wird sogar ein Überschuss bilanziert, in den Wintermonaten reicht die Abdeckung jedoch nicht. Der Überschuss wird an das angebaute 3-Familien-Wohnhaus an der Calanda-strasse 48 abgegeben. Im Gegenzug liefert die 2014 neu eingebaute Pelletheizung (vorher Gasheizung) die fehlende Wärme für den umgebauten Hausteil in den Wintermonaten. Es wird eine ausgeglichene Jahresbilanz zwischen Export und Import angestrebt. Abbildung 164 zeigt den monatlichen Wärmebedarf für das Wohnhaus (unterer Bereich) und den umgebauten Hausteil (oberer Bereich) und wie dieser abgedeckt wird:

  • Die orangen Balken zeigen die Abdeckung mit der Solarthermie vom Dach des Umbaus. In den Sommermonaten werden etwa 9100 kWh vom umgebauten Hausteil an das Wohnhaus abgegeben (Solarwärmeexport).
  • Die grünen Balken zeigen die Abdeckung mit der Pelletheizung im Wohnhaus. In den Wintermonaten werden rund 8800 kWh vom Wohnhaus an den umgebauten Hausteil abgegeben (Pelletwärmeimport, hellgrün).

 

Trotz ausgeglichener Energiebilanz resultiert auf der solaren Seite in den Sommermonaten ein Überschuss von etwa 1800 kWh.

 

Abbildung 162: Berechnung des Energiebedarfs nach Norm SIA 380/1 unter Berücksichtigung des effektiven Horizontes.

 

Haustechnik

Für eine optimale Nutzung der Sonneneinstrahlung und der Personenabwärme wurde ein schnelles Wärmeverteilsystem, also Radiatoren, eingesetzt. In den Kindergärten wurden dezentrale Lüftungsmonoblocks eingebaut. Diese ermöglichen einen der Belegung der einzelnen Räume angepassten Betrieb mit einem hohen Wärmerückgewinnungsfaktor. Im Sommer kann über diese Geräte zudem eine Nachtauskühlung erfolgen. In den neuen Dachwohnungen kommen dezentrale Komfortlüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung zum Einsatz. Die Photovoltaikanlage auf dem Süd- und Westdach produziert rund 8000 kWh elektrische Energie im Jahr.

 

Abbildung 163: Wärmebedarf des umgebauten Gebäudeteils.

 

Abbildung 164: Monatliche Energiebilanz für das Wohnhaus (unten) und den Umbau (oben).