3.4 Oberflächenkondensat und Schimmelpilzgefährdung

3.4.1 Allgemeines

Ein Gebäude ist im Detail so zu projektieren und auszuführen, dass im benutzen Raum an keiner Stelle Oberflächenkondensat auftritt, welches zu Schäden führen kann, und keine Gefahr von Schimmelpilzbefall besteht. Die Normen EN ISO 13788:2011 [3.1] und SIA 180:2014 [3.2] legen die Anforderungen und die rechnerischen Nachweisverfahren fest. Wenn die monatlichen Mittelwerte der relativen Luftfeuchte an den Oberflächen 0,8 überschreiten, besteht das Risiko eines Schimmelbefalls. Bei einer Überschreitung von kürzerer Dauer kann eine Risikoanalyse mithilfe des Isoplethensystems für Sporenauskeimung nach Sedlbauer [3.3 und 3.4] gemäss Abbildung A3.1 durchgeführt werden. Die Abbildung zeigt die Sporenauskeimzeit in Tagen in Abhängigkeit der Temperatur und der relativen Feuchte der Oberfläche auf.

Sporenauskeimungszeit besonders kritischer Schimmelpilze in Abhängigkeit von der Temperatur und der relativen Feuchte der Oberfläche nach Lit.
Abbildung A3.1: Sporenauskeimungszeit besonders kritischer Schimmelpilze in Abhängigkeit von der Temperatur und der relativen Feuchte der Oberfläche nach Lit. [3.3 und 3.4]

Die innere Oberflächentemperatur θsi einer Wand wird nach Formel A3.1 berechnet:

(A3.1)

Bei der Berechnung der Oberflächentemperaturen sind die folgenden Wärmeübergangswiderstände Rsi gemäss EN ISO 13788:2011 [3.1] zu verwenden:

Der Temperaturverlauf in einer Wand mit Aussendämmung ist in Abbildung A3.2 dargestellt. Eine hilfreiche Grösse zur Berechnung und Überprüfung von Oberflächentemperaturen ist der Oberflächentemperaturfaktor fRsi. Er ist als Verhältnis zwischen der Differenz der inneren Oberflächentemperatur eines Aussenbauteils und der Lufttemperatur aussen sowie der Differenz zwischen den Lufttemperaturen innen und aussen, bei vorgegebenem innerem Wärmeübergangswiderstand Rsi, definiert (siehe Formel A3.2).

Temperaturverlauf in einer Wand mit Aussenwärmedämmung
Abbildung A3.2: Temperaturverlauf in einer Wand mit Aussenwärmedämmung [3.7]

(A3.2)

Für flächige Bauteile (eindimensionale Wärmestromsituation) gilt: fRsi = 1 – (Rsi . U)

Der Temperaturfaktor fRsi an der Innenoberfläche ist unabhängig von der Aussen- und Innentemperatur und daher geeignet als klima-unabhängiger Bauteilkennwert. Das gilt nicht nur für flächige Bauteile, sondern auch für Wärmebrücken. Die innere Oberflächentemperatur θsi lässt sich somit vereinfacht nach Formel 3.3 bestimmen:

(A3.3)

Die Verfahren zur Berechnung des Temperaturfaktors fRsi in komplexen Fällen (zwei- und dreidimensionale Wärmebrückensituationen) sind in der Norm ISO 10211 [3.5] angegeben und erfordern den Einsatz eines Computerprogrammes. Ist ein Bauteil mehr als zwei Umgebungstemperaturen ausgesetzt (z.B. Innenklima θ1, Aussenklima θ2 und Klima einer unbeheizten Kellerzone θ3), dann wird die Berechnung der Oberflächentemperatur gemäss Formel A3.4 mit Temperaturgewichtungsfaktoren g durchgeführt (siehe Abb. 2.49 in «Bauphysik», 4. Ausgabe).

(A3.4)

Die Feuchtebelastung in einem Raum ist abhängig von der Feuchteproduktion G, der Aussenluftfeuchte νe und dem Aussenluft-Volumenstrom qv. Der raumseitige Feuchteüberschuss ∆ν kann gemäss Formel A3.5 bestimmt werden.

In Tabelle A3.2 ist die Feuchteproduktion G einer Person in Abhängigkeit zu seiner Tätigkeit angegeben.

(A3.5)

Der raumseitige Wasserdampfüberdruck ∆p im Raum lässt sich somit nach Formel A3.6, der raumseitige Wasserdampfdruck pv,i nach Formel A3.7 ermitteln:

(A3.6)
(A3.7)

3.4.2 Randbedingungen

Raumseitige Randbedingungen nach EN ISO 13788 [3.1]

Die Norm gibt in einem informativen Anhang A.1 Angaben zur Raumlufttemperatur und Raumluftfeuchte für «kontinentales» und tropisches Klima gemäss Abbildung A3.3:

Tagesmittel der raumseitigen Lufttemperatur und Luftfeuchte in Wohnhäusern und Bürogebäuden in Abhängigkeit vom Tagesmittel der Aussenlufttemperatur A: normale Belegung, B: starke Belegung
Abbildung A3.3: Tagesmittel der raumseitigen Lufttemperatur und Luftfeuchte in Wohnhäusern und Bürogebäuden in Abhängigkeit vom Tagesmittel der Aussenlufttemperatur
A: normale Belegung, B: starke Belegung (nach EN ISO 13788 [3.1])

Für maritime Klimate wird im Anhang A.2 die Luftfeuchtelast in fünf Luftfeuchteklassen gemäss Tabelle A3.3 eingeteilt und jeder Klasse in Abbildung A3.4 ein Wert für den raumseitigen Feuchteüberschuss ∆ν bzw. den raumseitigen Wasserdampfüberdruck ∆p in Abhängigkeit des monatlichen Mittelwerts der Aussenlufttemperatur zugeordnet.

Raumseitige Luftfeuchteklassen in Abhängigkeit der Aussenlufttemperatur
Abbildung A3.4: Raumseitige Luftfeuchteklassen in Abhängigkeit der Aussenlufttemperatur (EN ISO 13788 [3.1])

Raumseitige Randbedingungen nach SIA 180 [3.2]

Um Feuchteschäden zu vermeiden, darf die Feuchte in Räumen mit Personenbelegung die in Tabelle A3.4 angegebenen Werte im Tagesmittel in Abhängigkeit zur Aussenlufttemperatur nicht übersteigen. Die Angaben zur relativen Luftfeuchte beziehen sich auf eine Raumlufttemperatur von 20 °C und ein fRsi von 0,70. Für abweichende Raum- und Aussenlufttemperaturen ist die maximal zulässige relative Feuchte in Abbildung A3.5 angegeben, berechnet mit Formel A3.8. Die Aussenluft-Volumenströme sind so zu wählen, dass diese Grenzen nicht überschritten werden.

Maximal zulässige relative Feuchte der Raumluft
Abbildung A3.5: Maximal zulässige relative Feuchte der Raumluft (Tagesmittelwerte) (Norm SIA 180:2014 [3.2])

Bei abweichenden Nutzungsbedingungen (Raumlufttemperaturen ≠ 20 °C) und in Räumen mit unvermeidbaren Wärmebrücken mit einem Oberflächentemperaturfaktor unter 0,70 ist eine Berechnung der maximal zulässigen relativen Raumluftfeuchte φi,max mit der Gleichung A3.8 notwendig:

(A3.8)

Aussenklimabedingungen

Für die Berechnung des Risikos des Schimmelpilzbefalls an der Oberfläche sind monatliche Mittelwerte der Aussenluft- und Raumlufttemperaturen anzuwenden. Zur Berechnung des Risikos der Tauwasserbildung an Innenoberflächen sind Extremwerte anzuwenden: Tagesmittel, das in 20 Jahren einmal an drei aufeinanderfolgenden Tagen unterschritten wird. Für die Schweiz stehen diese Daten im SIA-Merkblatt 2028 [3.6] zur Verfügung.

3.4.3 Nachweisverfahren

In der Norm SIA 180:2014 [3.2] ist ein vereinfachter Nachweis zulässig, sofern die maximal zulässige Raumluftfeuchte gemäss Tabelle A3.4 bzw. Abbildung A3.5 nicht überschritten wird. Die Anforderungen sind erfüllt, wenn:

  • für flächige Bauteile die maximalen U-Werte nach SIA 180 Absatz 4.1.2 eingehalten sind,
  • für konstruktive Wärmebrücken bei Bauteilen, ausgenommen Fenster und Türen, der Oberflächentemperaturfaktor fRsi grösser oder gleich dem Grenzwert nach Anhang F (siehe Tabelle A3.5) für den entsprechenden Standort ist.

Ein detaillierter rechnerischer Nachweis ist notwendig, wenn aufgrund spezieller Nutzungsbedingungen die maximal zulässigen Raumluftfeuchten überschritten werden. Ein rechnerischer Nachweis ist auch bei erheblichen Wärmebrücken (fRsi < Grenzwert gemäss Anhang F) erforderlich, selbst wenn die effektiven Raumluftfeuchten nachweislich wesentlich tiefer sind als die maximal zulässigen. Nachfolgend werden zwei Beispiele aufgezeigt.

Detaillierter rechnerischer Nachweis nach SIA 180

 

3.7 Wasserdampfdiffusion durch Baukonstruktionen

3.7.5 Dampfbremsen/Dampfsperren

Dampfbremsen/Dampfsperren sind dünne Baustoffschichten mit hohem Dampfdiffusionswiderstand, aber vernachlässigbarem Wärmedurchlasswiderstand (dampfbremsend: sd > 1,3 m, dampfsperrend: sd > 130 m). Sie werden raumseitig eingesetzt, um den Dampfstrom zu reduzieren bzw. um unerwünscht grosse Kernkondensatmengen zu verringern. Dampfsperren können jedoch auch unerwünschte Nebenwirkungen haben, verhindern sie doch eine Austrocknung des Bauteils gegen den Innenraum. Dies kann z.B. notwendig sein, wenn in der Bauphase die Baukonstruktion infolge Regen durchfeuchtet wurde oder wenn die Dampfsperre lokal beschädigt wurde und Wasserdampf im Laufe der Zeit in das Bauteil eindringen konnte.

Adaptive Dampfbremsen

Um das Austrocknungspotenzial eines Bauteils zu verbessern, können feuchteadaptive Bauteilschichten mit einem variablen Diffusionswiderstand, sogenannte adaptive Dampfbremsen, eingesetzt werden. Der typische Verlauf des sd-Wertes einer adaptiven Dampfbremse ist in Abbildung A3.6 dargestellt. Der Bereich der dynamischen diffusionsäquivalenten Luftschichtdicke sd kann sich je nach Produkt von 0,3 bis über 20 m erstrecken.

Schematischer Verlauf des sd-Wertes einer adaptiven Dampfbremse
Abbildung A3.6: Schematischer Verlauf des sd-Wertes einer adaptiven Dampfbremse

3.10 Literatur: Feuchte

[3.1]Wärme- und feuchtetechnisches Verhalten von Bauteilen und Bauelementen – Raumseitige
Oberflächentemperatur zur Vermeidung kritischer Oberflächenfeuchte und Tauwasserbildung im Bauteilinneren – Berechnungsverfahren
(Norm ISO 13788:2011)
[3.2]Wärmeschutz, Feuchteschutz und Raumklima in Gebäuden (Norm SIA 180:2014 und SIA 180-C1:2015)
[3.3]K. Sedlbauer: Vorhersage von Schimmelpilzbildung auf und in Bauteilen. Dissertation Universität Stuttgart (2001)
[3.4]K. Sedlbauer, Th. Gabrio: Schimmelpilze und Beurteilungsklassen zur Gesundheitsgefährdung, IBP-Mitteilung 401, Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Stuttgart (2002)
[3.5]Wärmebrücken im Hochbau – Wärmeströme und Oberflächentemperaturen – Detaillierte Berechnungen (Norm ISO 10211:2015)
[3.6]Klimadaten für Bauphysik, Energie- und Gebäudetechnik, SIA-Merkblatt 2028 (2010) SIA 2028 (2010) de-Kompaktdaten.xls (http://www.energytools.ch/index.php/de/downloads/datenbanken)
[3.7]SIA Dokumentation D 0166: Wärme- und Feuchteschutz im Hochbau – Leitfaden zur Anwendung der Norm SIA 180, Ausgabe 1999, SIA 2001