7.3.1 Übersicht

Die einfachste Form der Schallausbreitung ist durch eine Punktquelle und das ruhende Medium Luft gegeben. Zur Bestimmung des Schalldrucks an einem beliebigen Empfangspunkt (Immissionsort) ist lediglich die « Verdünnung » der Schallleistung auf die Kugeloberfläche und die Luftabsorption zu berücksichtigen. In realen Situationen sind allerdings praktisch immer zusätzlich Einflüsse zu berücksichtigen: Reflexionen an den Begrenzungsflächen (z. B. Boden, Überbauung, Wald etc.), Bewuchs, Schallwegkrümmungen als Folge von Witterungseinflüssen, Abschirmwirkung von Hindernissen etc.

7.3.2 Geometrische Verdünnung bei verschiedenen Schallquellentypen

Die geometrische Verdünnung hängt vom Typ der Schallquelle ab. Bei einer Punktquelle wird die Schallleistung auf eine Kugeloberfläche verteilt. Die Intensität nimmt mit dem Quadrat des Abstands ab, der Schalldruck proportional zum Abstand (siehe Abbildung 7.22).

Schallausbreitung Punktquelle
Abbildung 7.22: Schallausbreitung Punktquelle

Ist die Schallquelle linienförmig (z. B. Verkehrsachse, Autokolonne), so gilt für eine unendlich lange Quelle:

Schallausbreitung Linienquelle
Abbildung 7.23: Schallausbreitung Linienquelle

Bei unendlich ausgedehnten Flächenquellen nimmt der Pegel mit wachsender Distanz nicht ab.

Somit ergeben sich bei einer Verdoppelung des Abstandes folgende Schallpegelreduktionen (ausserhalb des Nahfeldes):

(7.17)

Da in Wirklichkeit aber Flächen- wie Linienschallquellen geometrisch begrenzt sind, sind obige Schallpegelreduktionen für endliche Quellen gemäss nebenstehender Abbildung anzusetzen. Bei endlicher Grösse verhalten sich nämlich Flächen- wie Linienquellen ab einer bestimmten Distanz vom Quellpunkt wie Punktquellen (–6 dB/Abstandsverdoppelung)!

Übersicht Schallpegelabnahme bei Freiraumausbreitung für verschiedene Quellenformen
Abbildung 7.24: Übersicht Schallpegelabnahme bei Freiraumausbreitung für verschiedene Quellenformen

In der Praxis zeigt z. B. ein ruhendes Fahrzeug das Verhalten einer Punktquelle. Bezogen auf den Momentanpegel oder Maximalpegel sind auch bewegte Fahrzeuge oder Flugzeuge Punktquellen. Eine Linienquelle ist z. B. eine Hochspannungsleitung mit Koronageräuschen. Bezogen auf den Mittelungspegel Leq zeigen bewegte Punktquellen (also Autos auf Strassen, Eisenbahnen und Flugzeuge) auch das Abstandsverhalten von Linienquellen. Bei einer grossen Fabrikfassade, welche Lärm abstrahlt, zeigt sich in der Nähe die Charakteristik der Flächenquelle. Bei Berechnungen werden Linienquellen oft als Kette von Punktquellen betrachtet. Dies ist auch bei Flächenquellen möglich.

7.3.3 Richtwirkung der Quelle

Schallquellen strahlen meistens nicht in alle Richtungen gleich stark ab. Dies muss – wenn bekannt – raumwinkelabhängig mit einer Richtwirkungskorrektur DC berücksichtigt werden. Wenn die Quelle nahe bei einer Begrenzungsfläche lokalisiert ist, erhöht sich der Pegel je nach Situation, was in einer weiteren Korrektur berücksichtigt werden muss:

7.3.4 Luftdämpfung

Bei der Schallausbreitung in Luft wird der Schallwelle pro Distanzeinheit ein konstanter Prozentsatz an Energie entzogen (in Wärme umgewandelt). Die Luftabsorption wird durch die Parameter Lufttemperatur und -feuchte beeinflusst und ist stark frequenzabhängig. Hohe Frequenzen werden bedeutend stärker abgeschwächt. Von akustischen Quellen hört man in grosser Entfernung nur noch die tiefen Frequenzen. Die Luftdämpfung ΔLatm ist:

(7.18)

Bei Strassenlärm beträgt die Luftdämpfung A-bewertet etwa 5 dB/km.

7.3.5 Bodeneffekt

In vielen Fällen findet die Schallausbreitung in der Nähe des Bodens statt. Dem Direktschall überlagert sich dann eine nennenswerte Reflexion vom Boden. Dies führt je nach zeitlicher Verschiebung von direktem und reflektiertem Schall zu konstruktiver bzw. destruktiver Interferenz. Die Abbildung 7.25 zeigt den Frequenzgang des Bodeneffekts für verschiedene Situationen. Dabei wurde der Schalldruck am Empfänger ins Verhältnis zum Schalldruck des Direktschalls gesetzt. Typisch für geringe Quellen- und Empfängerhöhen ist die Verstärkung von knapp 6 dB bei tiefen Frequenzen und eine Abschwächung im Bereich von 500 Hz.

Bodeneffekt für Rasen mit Quelle und Empfänger 1 m über Boden für Abstände 20 m, 50 m und 200 m
Abbildung 7.25: Bodeneffekt für Rasen mit Quelle und Empfänger 1 m über Boden für Abstände 20 m, 50 m und 200 m [7.25]

7.3.6 Bewuchs

Beim Schalldurchgang durch dichte Vegetation ist vorwiegend als Folge von Streuung an Stämmen und Ästen und bei hohen Frequenzen auch an den Blättern mit einer Bewuchsdämpfung ΔLfoliage zu rechnen. Entgegen der allgemeinen Erwartung werden nennenswerte Dämpfungswerte aber erst für Vegetationstiefen ab etwa 20 m erreicht.

Obwohl die Pflanzung einer Hecke oder Baumreihe als Abschirmung gegen Lärm akustisch weitgehend nutzlos ist, wird damit für Betroffene oft durch den entstehenden Sichtschutz eine günstige Wirkung erzielt.

Die frequenzabhängige Dämpfung durch Bewuchs kann für verschiedene Distanzen des Durchgangs durch den Bewuchs der folgenden Tabelle entnommen werden (gemäss ISO 9613-2):

7.3.7 Schallschirme, Hindernisse

Feste Hindernisse, die die Sichtverbindung zwischen Quelle und Empfänger unterbrechen, können deutliche Dämpfungen bewirken. In der Lärmbekämpfung werden häufig Lärmschutzwände errichtet, um die Empfänger vor übermässigem Lärm zu schützen. Es liegt in der Wellennatur des Schalls begründet, dass infolge Beugung hinter einem Hindernis nicht absolute Stille herrscht, sondern immer noch ein mehr oder weniger starker Anteil Schall vorhanden ist. Umso tiefer die Frequenz, desto ungehinderter gelangt der Schall um das Hindernis herum in die geometrische Schattenzone.

Bei der Diskussion von Hindernissen wird meistens angenommen, dass der Schallanteil, der durch das Hindernis hindurchtritt, im Vergleich zum gebeugten Anteil vernachlässigbar ist. Dies ist dann gegeben, wenn die flächenbezogene Masse des Hindernisses grösser als etwa (10 – 20) kg/m2 ist.

Die exakte Behandlung der Hinderniswirkung ΔLscreen ist in der Regel nicht möglich. Deshalb stützt man sich auf empirische Näherungsformeln.

Beim praktischen Einsatz von Schallschirmen – beispielsweise gegen Strassenverkehrslärm – werden typisch Abschwächungen im Bereich zwischen 5 und 12 dB erzielt. Ein Schirm wirkt am effektivsten, wenn er möglichst nahe an der Quelle oder am Empfänger steht. Als Folge von Turbulenzen und Mediumsinhomogenitäten bleibt die maximal erzielbare Abschirmwirkung begrenzt. In der Regel wird – abhängig von der Distanz – eine obere Grenze von 20 bis 25 dB angenommen. In stark lärmbelasteten Gebieten werden Schirmhöhen von 6 bis 7 m realisiert. Bei der baulichen Ausführung ist darauf zu achten, dass keine nennenswerten Luftspalten auftreten, da ansonsten die Wirkung drastisch reduziert wird. Zudem muss berücksichtigt werden, dass der Schall auch um die vertikale Hinderniskante, also seitlich um das Hindernis herum gebeugt wird. Auf diese Weise kann eine allenfalls hohe vertikale Hinderniswirkung stark reduziert werden.

In einigen Fällen ist es angezeigt, Schallschutzwände absorbierend zu gestalten. Damit wird eine leicht gesteigerte Abschirmwirkung erzielt (1 bis 2 dB) und vor allem vermieden, dass durch Reflexion auf der gegenüberliegenden Seite eine Pegelerhöhung auftritt.

Zusammenfassende Faustregeln:

  • Das Hindernis muss genügend hoch sein (deutliche Unterbrechung der Sichtlinie).
  • Die Wirkung ist umso besser, je grösser der Umweg des Schalls ist.
  • Das Hindernis wirkt damit umso besser, je näher es bei der Quelle oder beim Empfänger liegt.
  • Das Hindernis muss dicht und genügend schwer sein (> (10 – 20) kg/m2).
  • In vielen Fällen muss mit einer absorbierenden Verkleidung vermieden werden, dass die Hindernisse Schall in unerwünschte Bereiche reflektieren.
Geometrie der Schallausbreitung über ein Hindernis.
Abbildung 7.26: Geometrie der Schallausbreitung über ein Hindernis.

Die Hinderniswirkung ΔLscreen kann gemäss ISO 9613 - 2 wie folgt abgeschätzt werden:

(7.19)

Bemerkung:

Wenn das Hindernis gerade bis zur Direktverbindung Sender-Empfänger reicht, wird z = 0. Unabhängig von der Frequenz erzeugt das Hindernis eine Abschwächung von rund 5 dB. Wenn die Hindernishöhe weiter zurückgeht, d. h. das Hindernis reicht nur bis in die Nähe der Direktverbindung, ist für z der entsprechende negative Wert einzusetzen.

7.3.8 Witterung

Ab etwa (100 – 200) m Distanz zwischen Quelle und Empfänger müssen auch die Witterungseinflüsse berücksichtigt werden. Sie können z. B. in Situationen nachts zu Pegeln am Immissionsort führen, die um einige dB höher liegen als tags.

Einfluss der Temperaturschichtung in der Atmosphäre auf die Schallausbreitung
Abbildung 7.27: Einfluss der Temperaturschichtung in der Atmosphäre auf die Schallausbreitung (Kugelstrahler) bei
a) positivem Temperaturgradienten, d. h., die bodennahen Luftschichten sind infolge Strahlungsauskühlung (vor allem in klaren Nächten) kälter als die darüberliegenden → Ablenkung der Schallstrahlen in Richtung auf die kältere Schicht.
b) negativem Temperaturgradienten, d. h., während des Tages nimmt normalerweise die Temperatur der Luft mit zunehmender Höhe über Grund ab → Krümmung der Schallstrahlen nach oben → Schallschatten.

Windrichtung und vertikale Temperaturschichtung in bodennahen Luftschichten führen aufgrund von Brechungseffekten zu Krümmungen, die die Schallausbreitung « verdichten » bzw. « verdünnen ».

Einfluss des Windes auf die Schallausbreitung in einer Atmosphäre mit horizontaler Schichtung infolge eines positiven, linearen Windgeschwindigkeitsgradienten
Abbildung 7.28: Einfluss des Windes auf die Schallausbreitung in einer Atmosphäre mit horizontaler Schichtung infolge eines positiven, linearen Windgeschwindigkeitsgradienten (d. h. idealisierte, lineare Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe über Grund), laminare Strömungsverhältnisse.
a) Vertikalschnitt
b) Grundriss (In Windrichtung breitet sich der Schall schneller, gegen den Wind langsamer aus → zur Windrichtung parallele Schallstrahlen werden mit dem Wind zum Boden hin-, antiparallele vom Boden weggekrümmt. Bei turbulenten Verhältnissen ist mit zusätzlichen Dämpfungen zu rechnen.)

7.3.9 Prognose der Schallausbreitung nach ISO 9613 – 2

Die ISO 9613 - 2 ist ein aktuelles empirisches Modell zur Berechnung der Schallausbreitung von einer Punktquelle zu einem Immissionsort. Das zugrunde liegende Formelwerk ist mit einem Taschenrechner oder einer Tabellenkalkulation beherrschbar. Die Berechnung erfolgt üblicherweise in Terzen, ist aber auch für den A-bewerteten Gesamtpegel möglich. Im Folgenden werden nur die wichtigsten Elemente aufgeführt.

Der Schalldruckpegel Lp im Abstand r von einer Schallquelle mit der Schallleistung LW berechnet sich wie folgt:

(7.20)

Reflexionen führen zu zusätzlichen Ausbreitungspfaden, die berechnet werden müssen. Die Grösse der Flächen, an denen der Schall reflektiert wird, fliesst in die Berechnung ein. Die Wirkung des Wetters wird gemäss ISO 9613 - 2 bei ΔLscreen berücksichtigt. Wenn eine Hinderniswirkung berücksichtigt wird, ist die Abschwächung aufgrund des Bodeneffekts ΔLground zu ignorieren.