Bauphysik – Mithilfe physikalischer Grundlagen zu komfortablen, umweltgerechten und ressourcenschonenden Gebäuden

«Der zu deckende Energiebedarf der Menschheit bringt ernsthafte ökonomische, soziale und ökologische Probleme mit sich. Ihre Lösung verlangt vernünftige, technologisch und wirtschaftlich machbare Alternativen.» (Co Starr: «Energy and power», Scientific American, 1971)

Die Menschheit ist nach wie vor dabei, ihren begrenzten Lebensraum – die Erde – durch unkontrollierten Ressourcenverbrauch und übermässige Umweltbelastung in globalem Massstab zu verändern:

«Sie sägten die Äste ab, auf denen sie sassen
Und schrieen sich zu ihre Erfahrungen,
Wie man besser sägen könnte, und fuhren
Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen
Schüttelten die Köpfe beim Sägen und
Sägten weiter.»
(Bertold Brecht, Exil, III, 1936–1944)

Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (sog. «Brundtland-Kommission») definierte 1987 Nachhaltige Entwicklung als ein Konzept, das es allen heute lebenden Menschen erlaubt, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ohne die Lebenschancen kommender Generationen zu beeinträchtigen. Diese Zielsetzung kann nur verwirklicht werden, wenn ökologische, wirtschaftliche und soziale Anforderungen in Einklang gebracht werden. Die drei Schlüsselfaktoren ‹Umwelt›, ‹Wirtschaft› und ‹Gesellschaft› bilden ein «Netzwerk»: Die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die gesellschaftliche Solidarität sind voneinander abhängig. Es ist demnach ein Gebot der Zeit, uns gegenüber den Nächsten und unseren Nachkommen verantwortlich zu verhalten hinsichtlich der Auswirkungen, die unsere Lebensweise für die Umwelt bedeutet – auch im Bereich «Bau und Energie».

Vor dem Hintergrund der Energie-Umwelt-Problematik und einem nicht zu vernachlässigenden Anteil der Gebäude am Gesamtenergieverbrauch geht es darum, das Gebäude unter den Aspekten «optimale Energienutzung – massvolle Behaglichkeitsanforderungen – minimale Umweltbelastung» genauer auszuleuchten und dessen «Funktionsweise» besser zu verstehen.

Das vorliegende Lehrbuch zeigt – ausgehend von den Grundlagen der Physik – Zusammenhänge aus dem Bereich Umwelt–Gebäude–Mensch auf. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, die vorgestellten Themen stellen eine Auswahl aus dem vielfältigen, komplexen, vernetzten Fragenkatalog dar. Durch eine umfassende Ausbildung im Grundlagenbereich «Physik am Bau» lassen sich bestehende Kompetenzen aktualisieren, zusätzliche erwerben und so für den Planer in unserer modernen, wirtschaftlich geprägten Welt neue Handlungsspielräume im Bereich «Bau, Energie und Nachhaltigkeit» öffnen.

Bei dieser Neuauflage ging es nicht primär darum, das Rad neu zu erfinden. Im Gegenteil: Bestandenes und Bewährtes wurde übernommen. Aufgrund der rasanten technischen Entwicklung und der zunehmenden Sensibilisierung in Umweltfragen wurden einzelne Teile neu erarbeitet. Themen aus neueren Forschungsarbeiten wurden soweit wie möglich integriert.

Inhalt und Zielsetzung der Publikation

Vorwort der 1. und 2. Auflage

Lärmbelästigungen durch Verkehr oder störende Nebengeräusche von Hausinstallationen, ungenügende Tageslichtbeleuchtung in Bürogebäuden von Grossstädten mit Hochhäusern, Pilzbefall an Wandoberflächen als Folge von zu hoher Luftfeuchtigkeit bzw. schlechter Wärmedämmung, ungenügender oder zu starker Luftaustausch in Gebäuden, übermässiger Energieverbrauch und Brandschäden bildeten in den letzten Jahrzehnten Ausgangspunkte, um die physikalischen Gesetzmässigkeiten in und um Gebäude intensiver zu untersuchen. Fachgerechter, optimaler Schutz gegen zu grossen Energieverbrauch, gegen zu starke Lärmimmissionen oder gegen Kondenswasserbildung z.B. ist heute eine Notwendigkeit, nicht nur aus wirtschaftlicher Überlegung, sondern auch zur Erhöhung der Lebensqualität.

Die Bauphysik befasst sich mit den verschiedenen Wechselwirkungen zwischen dem Bauwerk einerseits und Wärme, Feuchte, Schall, Licht, Niederschlag und Wind andererseits. Das Gebäude kann somit gleichfalls als Trenn- resp. Übertragungssystem für Störungen bzw. Schwankungen in der «klimatischen Umwelt» – dem sogenannten Innen- und Aussenklima – betrachtet werden.

Dieser relativ junge Forschungs-/Lehrbereich versucht die einzelnen Wechselwirkungsphänomene sowohl experimentell, z.B. an bestehenden sowie Modellgebäuden, wie auch theoretisch, z.B. mit mathematischen Berechnungsmodellen, zu erfassen und zu beschreiben. Die Berechnungen einerseits benötigen eine Menge Datenmaterial, das zu einem grossen Teil aus Arbeiten der exakten Wissenschaften (Physik, Chemie und Materialtechnik) stammt. Andererseits fordert aber die Behaglichkeit/das Wohlbefinden der Bewohner auch den Miteinbezug von Erkenntnissen aus den biologischen Forschungsbereichen Medizin und Physiologie. Um Bauwerke qualitativ wie auch quantitativ miteinander vergleichen oder um Mindestanforderungen festlegen zu können, sind viele Berechnungs- und Prüfverfahren in Normen vereinheitlicht. Freies Konstruieren und Entwerfen, künstliche Normen, naturgegebene Materialeigenschaften und physikalische Grundgesetze bilden ein Spannungsfeld, unter dessen Wirkung der Architekt ein Bauwerk entstehen lässt.

Die Bauphysik soll dem Architekten und dem Bauingenieur helfen, die physikalischen Grundregeln in seinem Arbeitsbereich richtig anzuwenden. Sie bietet keine Konstruktionsrezepte, sondern versucht die physikalischen Gesetzmässigkeiten für Vorgänge, die in oder ums Gebäude ablaufen, aufzuzeigen und zu erklären, um sie anschliessend bei der Konstruktion und/oder Sanierung schon in der Planungsphase richtig anwenden zu können.

Bauphysik als angewandte Physik am Gebäude soll als Ganzes ein integrierender Bestandteil der Denk- und Arbeitsweise der am Bau beteiligten Planer und Ingenieure sein; d.h. zur Lösung eines spezifischen Bauproblems müssen alle bauphysikalischen Aspekte wie Wärme-, Feuchte-, Schallschutz etc. beigezogen werden.

Mit der Gliederung des Stoffes, die absichtlich vom üblichen Konzept bekannter Physikbücher abweicht, wurde versucht, eine Möglichkeit zu bieten, den Unterricht abwechslungsreich und praxisbezogen zu gestalten.

Da die Bauphysik ein relativ junges Forschungsgebiet darstellt, ist in einzelnen Teilbereichen noch vieles in Entwicklung und Abklärung, so dass z.T. weitere Forschung und mehr Erfahrung notwendig sein werden, um abgesicherte, wissenschaftlich fundierte Dimensionierungsregeln angeben zu können. Die Verfasser sind sich daher auch bewusst, dass ein Lehrbuch über ein relativ junges, aufstrebendes und derart breitgefächertes Fachgebiet wie die Bauphysik («angewandte Physik am Bau») weder Anspruch auf Vollständigkeit erheben darf, noch als abgeschlossen gelten kann. Die vorliegende Dokumentation soll einerseits Studierenden als Grundlage für den Bauphysikunterricht, andererseits dem Praktiker zum Nachschlagen dienen.

Trotz der in der Natur der Sache liegenden Anforderungen an theoretische Hilfsmittel werden nur einfache Grundkenntnisse/-begriffe aus Mechanik/Aerodynamik und Wärmelehre vorausgesetzt. Bei der Zusammenstellung der einzelnen Kapitel wurde versucht, die physikalischen Phänomene am Gebäude so weit wie möglich unabhängig von bestehenden Normenwerken darzustellen. Die fortschreitende Entwicklung in der Forschung, die laufende Erweiterung des Behaglichkeitsbegriffes, der Wunsch der Praxis nach zusätzlichen Materialkenn- und Erfahrungswerten und die Internationalisierung/Europäisierung in der Normengebung erforderten zu Beginn des neuen Jahrtausends eine Neubearbeitung des seit rund 20 Jahren mit Erfolg an Hochschulen und in der beruflichen Weiterbildung eingesetzten Lehrbuches.

Sommer 1998/Herbst 2003 Ch. Zürcher und Th. Frank

Entwicklung des mittleren, jährlichen Pro-Kopf-Leistungsbedarf der Weltbevölkerung, www.novatlantis.ch, 2005

Zur aktuellen Auflage 2010

«2000 W – What 2000?» – Dieser rätselhaften Frage, die der niederländische Architekt Winy Maas im November 2009 in ähnlicher Form an den Anfang seines Vortrages setzte, müssen wir uns heute alle stellen. Was bedeutet aber diese Frage? Entweder «Wie geht es nach 2000 weiter?», oder «Was verbirgt sich hinter dem Ausdruck ‹ 2000 W ›?».

Beide Fragestellungen sind berechtigt. Die sog. 2000-Watt-Gesellschaft ist kein Rätsel, sondern eine ambitiöse Zielsetzung, mit der wir uns zu Beginn des 21. Jahrhundert hart auseinanderzusetzen haben, wollen wir einer drohenden Verknappung der fossilen Energieträger und einer daraus allenfalls resultierenden Senkung des Lebensstandards entgehen. Im globalen Durchschnitt konsumiert jede Person heute eine mittlere Leistung von ca. 2000 W, in Europa hingegen liegt die mittlere jährliche Verbrauchsleistung bei rund 6500 W, in den USA sogar bei ca. 12’000 W (!). In vielen heute aufstrebenden Entwicklungsländern sind es nur Bruchteile davon.

Da Energieverbrauch und Wohlstand miteinander verknüpft sind, bildet sich angesichts des Trends in den Entwicklungsländern zu erhöhtem Lebensstandard ein Konfliktpotenzial. Die Aufgabe, immer mehr Menschen mit immer mehr Energie bei steigenden Komfortansprüchen zu versorgen, scheint in der gegenwärtigen politischen Landschaft nur schwierig lösbar. Eine Neubesinnung bzw. ein Umdenken ist dringend erforderlich.

Die 2000-Watt-Gesellschaft ist ein möglicher Ansatz, um diese Herausforderung im Namen zukünftiger Generationen anzugehen. Dabei soll – ohne Einbusse an Lebensqualität – versucht werden, einerseits die kontinuierliche, total über alle Lebensbereiche benötigte Pro-Kopf-Verbrauchsleistung auf 2000 W (ungefähres Verbrauchsniveau von 1960) abzusenken und andererseits den Ausstoss an CO2 auf 1 t pro Person zu vermindern.

Um dieses Ziel zu erreichen, sind u.a. Material- und Energieeffizienz zu steigern, fossile Energieträger durch erneuerbare zu substituieren sowie im Bereich Bau die integrale Planung zu optimieren und den Betrieb der Anlagen zu professionalisieren. Labels wie Minergie oder der Gebäudeenergieausweis (GEA) der Kantone sind energiepolitische Steuerungsinstrumente, um Planer, Investoren, aber auch Gebäudebesitzer im Hinblick auf die Vision 2000-Watt-Geselllschaft zu motivieren. Flankierend zu diesen Bestrebungen haben neue Normen und Richtlinien die erforderliche Transparenz sicherzustellen (z.B. EG-Richtlinie «EPBD – Energy Performance of Buildings Directive» über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden oder die SIA-Norm «Thermische Energie im Hochbau»).

Aufgrund der unzähligen, in den letzten Jahren neu erschienenen bzw. überarbeiteten Normen und Richtlinien – sowohl national, europäisch wie international – hat sich neuerdings eine Aktualisierung des vorliegenden Buches aufgedrängt. Ein Mitarbeiterteam der EMPA hat dazu die «Bauphysik» an die zur Zeit geltenden ISO-, EN- und SIA-Normen angepasst und die relevanten Änderungen eingearbeitet.

Zürich, Sommer 2010, vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich und EMPA

Zur aktuellen 5. Auflage 2017

Zu einzelnen Kapiteln wurden in Kapitel 10 «Addendum» Ergänzungen verfasst, um den Stand der Technik und Normierung, insbesondere die Änderungen in den Normen SIA 180:2014 und SIA 382/1:2014, zu berücksichtigen. Im nachfolgenden Text wird mit einem Sonderzeichen auf die entsprechenden Stellen im Addendum hingewiesen.